Valie Export und die Erschaffung der Wirklichkeit
Claudia Recorean
Valie Export, geboren 1940 in Österreich, 1991 bis 1995 Vizepräsidentin HdK Berlin, heute Professorin an der Kölner Hochschule für Medien ist eine der bedeutendsten Vorreiterinnen der Performance- und Medienkunst der frühen siebziger Jahre bis heute. Zu Recht widmet die NGBK und die Akademie der Künste dieser Künstlerin eine umfassende Retrospektive.
Vor den Ausstellungsräumen empfängt die Besucherin ein Schild: „Vorsicht, diese Ausstellung beinhaltet Arbeiten mit gesundheitsschädlichen Substanzen, mit denen Sie Berührungen vermeiden sollten." Denkbar wäre dort auch folgender Hinweis. „Vorsicht, diese Ausstellung enthält Arbeiten, die Ihr Denken, Empfinden und Ihre Wahrnehmung verändern und radikal revolutionieren können."
Export thematisiert das Sehen als Hauptwahrnehmung unserer Kultur, das Schauen als kultureller Sieger und gleichzeitiges Opfer unserer kulturellen Gewohnheiten. Ihre Werke decken Wahrheiten auf über das Produzieren und Reproduzieren von Wahrheit.
Adjungierte Dislokation, 1973 ist eine dieser Arbeiten. Auf eine Leinwand werden gleichzeitig drei Filmaufnahmen projiziert. Die größte zeigt die Künstlerin, die, eine Kamera vor dem Brustkorb, eine Kamera gleicher Höhe am Rücken angebracht, langsame Bewegungen im Freien vollführt. Die zweite und dritte Fläche auf der Leinwand zeigen diese Aktion simultan aus Sicht der Brustkamera und aus der Rückenperspektive.
Blickwinkel, Perspektive als subjektives Wahrheitsmoment, eine Aktion aus drei Standpunkten gleichzeitig, ist der Hauptaspekt dieser Arbeit. Wie viele Künstlerinnen kritisiert und analysiert Export in den siebziger Jahren den Objektivitätsanspruch von Einwegperspektiven. Statt dessen exponiert sie die Subjektivität eines Standpunktes.
Export sucht nach einem körperlichen Sehen. Sie durchbricht die Barriere des klassisch abendländischen Auges und erprobt Alternativen. Tapp Tast Film ist eines dieser Experimente. Der Oberkörper der Künstlerin steckt in einem Karton, der vorn zwei Öffnungen hat. Export fordert Passanten auf, ihre Brüste in der Kiste zu ertasten. „Die taktile Rezeption feit gegen den Betrug des Voyeurismus", so die Künstlerin.
Kulturelle Grenzen und deren Jenseits fordern Export auf, an sie zu stoßen, sie zu durchleuchten und zu überschreiten. In Aktionen wie Hyperbultie, 1973, wo sich die Künstlerin nackt durch einen engen Gang elektrisch geladener Drähte bewegt oder Eros/Ion, wo sie auf einer Glasscheibe und danach auf Scherben liegt und sich bewegt „zeigt sie das Bewusstsein, dass sich von deutlichen Signalen der Zivilisation…befreit hat".
Schnitte, kulturelle Schnitte, Filmschnitte, Blickschnitte, Körperschnitte ist ein weiterer Dreh- und Angelpunkt in Exports Arbeit. Die Videoinstallation „Violation" berichtet aus dem Leben einer sudanesischen beschnittenen Frau, gleichzeitig werden drastische Bilder über Klitorisbeschneidungen gezeigt. Die Aktionshose Genitalpanik, die die Vagina der Künstlerin exponiert, während selbige eine Maschinenpistole in der Hand hält, bearbeitet das Thema Beschneidung auf völlig andere Weise. Die Beschneidung von Weiblichkeit wird hier durch die Schockwirkung des ausgestellten Geschlechts gleichzeitig aufgezeigt wie durchbrochen.
Durch Bildschnitte und Montage erschafft Valie ein selbstverständlich lässiges Portrait von Weiblichkeit und zeigt diese als „Identitätstransfer". Auf der Bildfläche prangt das Gesicht der Künstlerin und hält uns rauchend eine Schachtel entgegen. Darauf wiederholt sich, klein und kreisrund, dasselbe Gesicht. Export, steht darunter, „made in austria". „Ich bin mein eigenes Produkt, ich transportiere mich selbst" sagt dieses Bild. „Hier beginnt das Reich meiner Wahrheiten, von mir selbst erschaffen."
Export ist eine Grande Dame der Medienkunst, eine subversiven Darstellerin grundlegender Gesellschafts- und Kommunikationsmuster. Ihre Kunst rüttelt auf, unterwandert und verändert Bestehendes.