• GET RID OF YOURSELF – Ralf Katzenstein

    Date posted: June 14, 2006 Author: jolanta

    GET RID OF YOURSELF

    Ralf Katzenstein

    „Um die Mitte des ersten Tages passierte etwas Wunderschönes. Ich traf eine alte Freundin, die ich seit Monaten nicht gesehen hatte. Ich sah sie ganz alleine einen Geldautomaten mit einem Hammer zertrümmern. Sie schien vollkommen in einer anderen Welt zu sein. Sie sah glücklich aus." So lautet ein Zitat aus dem Film „Get rid of yourself" der Bernadette Corporation. Image
    Ich erreiche die gleichnamige Ausstellung in der Leipziger Baumwollspinnerei in der Mitte eines regnerischen Tages, völlig durchnässt und ohne Erwartungen. Es passiert etwas Wunderschönes. In den riesigen maroden Fabrikhallen treffe ich auf eine überraschende, inspirierende und motivierende Ausstellung. Zehn Kooperativen, unabhängige Kunstzeitschriften, fiktive Künstlerunternehmen, Lese-Plattformen und netzwerkende KonzeptartistInnen aus New York, Chicago und San Francisco – organisiert als zeitlich versetzte Doppelausstellung von der ACC Galerie Weimar und der Stiftung-Federkiel – präsentieren ihre Projekte. Namentlich Matthew Buckingham, Bernadette Corporation, Cabinet Magazine, eteam, NYC Surveillance Camera Players, Picture Projects & The 360degrees Team, Michael Rakowitz, Anne-Marie Schleiner/Brody u.a., 16Beaver Group und Temporary Services. Die hier gezeigten Künstlergruppierungen nehmen den Hammer in die Hand und gehen damit in künstlerischem Sinne auf Themen wie z.B. Strafjustiz, Heimatsicherheit, Überwachung, Globalisierung und Krieg los. Sie setzen sich, geeint durch ihren kritischen fast schon autonomen Ansatz mit so irdischen Themen wie Obdachlosigkeit oder Grundstückspekulation auseinander.

    Überall tropft es von der undichten Hallendecke. Weiße Farbeimer fangen das Wasser notdürftig auf und wirken wie aufgestellte Markierungen in den labyrinthisch angelegten Ausstellungsräumen. Ein unabsichtlich gelegter roter Faden, der in mir die Assoziation zu den sozialen Auffangbecken wachruft, die unweigerlich zum Thema dieser Künstler gehören.

    Eine wirklich auffangende Idee, eine praktische Entwicklung für Obdachlose, zeigt Michael Rakowitz mit seinen „ParaSITES". In einem seit 1997 laufenden Projekt, bietet er Obdachlosen Menschen in New York und Boston auf Wunsch individuelle aufblasbare Behausungen aus Mülltüten (Materialkosten: 5 Dollar) an. Bislang produzierte Rakowitz zusammen mit Obdachlosen 30 maßgeschneiderte Behausungen, die, mit einem Schlauch am Abluftdurchlass von Klimaanlagen befestigt und so beheizt werden können. Neben der praktischen Hilfe wirkt jede Heimstätte wie ein Fanal, das die öffentliche Wahrnehmung eines nationalen Problems gigantischen Ausmaßes anmahnen soll. Die Ausstellung zeigt eine Fotodokumentation der „ParaSITES" und beschäftigt sich mit den kontroversen Diskussionen, die dieses Projekt hervorrief. So lies beispielsweise der frühere New Yorker Oberbürgermeister Giuliani die Benutzung jeder „Struktur", die höher als dreieinhalb Fuß war, mittels seiner Anti-Homeless-Laws, als Akt illegalen Zeltens ahnden.

    Die vorwiegend aus Deutschland stammende Künstlergruppe „eteam" befasst sich mit den verheißungsvollen Erwerbungen im online-Kaufhaus „ebay". Sie ersteigerten für 456 Dollar ein Wüstengrundstück im Escalante Valley im US-Bundesstaat Utah. Mit Videobeamer und verdörrtem Gras gestalten sie in der Leipziger Ausstellung einen ebenso brachliegenden, wüsten Raum. In die Bildprojektionen des erworbenen Landstücks blenden sie sich dann selbst abwechselnd, unvollständig und in geisterhafter Transparenz mit ein. „1.1 Flat screen", so der Titel der Arbeit, kreiert eine Projektionsfläche für all die trügerischen Versprechen, die das in Besitz übergegangene, trostlose Stück Land einlösen könnte.

    Vielleicht sind diese Ideen, da sie teilweise schon Mitte und Ende der 90er Jahre entstanden sind, in den USA bereits ein alter Hut. Für eine selbsternannte Kunststadt Leipzig jedoch könnten sie noch einige neue Türen aufstoßen.

    Jene neue Malerelite, die sogenannten Neo-Expressionisten und Neo-Surrealisten, die ganz ungeniert den Kunstmarkt bedient und von diesem profitiert, sollte sich durchaus einen Blick in jene verfallenen Fabrikhallen erlauben, einen Blick auf die Grenzen der Marktwirtschaft und deren Verlierer werfen. Kunst die sich nur selber schröpft wird auf Dauer keine Überlebenschance haben und wer mag schon zu denen gehören die sich die letzten Stücke Fleisch von einem fast verwesten Körper reißen. Vielleicht jedoch hat eine Kunst die sich politisch und gesellschaftlich einmischt eines Tages wieder die Chance auch außerhalb des sich selbst erhaltenden Kunstmarktkosmos wahrgenommen zu werden und somit nicht nur wirtschaftlich relevant zu sein.

    Die Ausstellung sollte nach Wunsch der Veranstalter auch im Winter 03/04 noch zu sehen sein, allerdings war noch nicht geklärt wer die unbeheizbaren Hallen beaufsichtigen und besuchen soll, denn wer geht schon gerne vor die Tür wenn es draußen kalt ist und regnet.  

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