Am Ab-Ort der Bilder: Filme von Evgenij Jufit im Filmmuseum M�nchen Barbara Wurm |
![]() “Das h�lzerne Zimmer”
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Vermutlich ist es den vielen ‘Posts’ zu verdanken, Poststalinismus, -kommunismus, -perestrojka und schließlich auch der Postmoderne, dass – nachdem die Gegenwart im russischen Kino endlich erreicht schien – im Venedig des Nordens Filme gemacht werden, die weniger mit der Zukunft als mit der Ewigkeit kokettieren, die aus dem Kontext einer arrière-garde hervorgehen (dem Leningrader NekroRealismus der achtziger Jahre) und die mit ihrer stilistischen und formalen Neigung zum Morbiden und Skurrilen aber auch zu einer ganz eigenen Langsamkeit zurückverweisen auf die fundamentale Posthistorizität der Gegenwartskunst. Evgenij Jufit, der Begründer und theoretische Kopf des NekroRealismus, ist – obwohl er die Bewegung selbst längst für tot hält – der letzte Mohikaner der untergehenden parallelen Kinolandschaft Russlands, ein Experimentator des aussterbenden Experimentalfilms.
Was für die Ewigkeit bestimmt ist, kommt ins Museum, und so fügt sich das Filmmuseum München mit seiner umfangreichen Personalretrospektive zu Jufit und einem ebenso umfangreichen ‘Kontextprogramm’ mit Kurzfilmen von Igor’ Bezrukov, Aleksandr Anikeenko, Andrej Mertvyj, Evgenij Kondratjev und Boris Kazakov ein in eine prominente Reihe von (Film-)Museen, die hier Vorarbeit geleistet haben – das Stedelijk Museum, die Anthology Film Archives und auch das New Yorker Museum of Modern Art. An vier Abenden (8.-11. Januar 2004) konnte sich das von Tag zu Tag zahlreicher erscheinende Publikum von einem enigmatischen Bilderstrom verzaubern lassen, der, wie Fritz Göttler in der Süddeutschen Zeitung schreibt, den Mythos vom munter sprudelnden Fluss der Montage zersetzt. Eine kleinere Auswahl – "Papa, umer ded Moroz" / "Papa, Väterchen Frost ist tot", 1991 und der bisher letzte Langfilm Jufits, "Ubitye molniej" / "Vom Blitz erschlagen", 2002 – lief bereits im Juli 2003 im Berliner Filmkunsthaus Babylon zum Symposium "Wasser-Stadt. 300 Jahre St. Petersburg"; mit "Derevjannaja komnata" / "Das hölzerne Zimmer", 1995 und "Serebrjanye golovy" / "Silberköpfe", 1998 gab es in München erstmals die Gelegenheit, eine ‘Entwicklung’ im Schaffen Jufits nachzuvollziehen. Musealisierung und Mumifizierung als phänomenlogische Zwischenreiche von Tod und Leben, Unsterblichkeit und Lebensmüdigkeit verstehend, überschreitet Jufit die vorgezeichneten religiös-metaphysischen Grenzen der russischen Filmkunst-Landschaft ebenso wie die moralischen Tabus diesseits und jenseits der offiziellen Kultur. Seine Helden sind die wahren Dissidenten, a-soziale, sadomasochistische, homosexuelle, kindische Hüpf- und Kriechfiguren, Wissenschaftler oder Vampire, Sumpf-Wesen zwischen an- und organischer Materie. Der Verfall der menschlichen Zivilisation, des Geistes und des Körpers wird weder beklagt noch von einem Pathos des Spirituellen oder gar einer "absoluten Kunst" überdeckt. Vielmehr wird die Degeneration zum Kultakt und konvergiert mit dem Absterben vermeintlicher ästhetischer und technischer Errungenschaften des Mediums – der Rest sind oft stumme und in Schwarz/Weiß oder Sepia gehaltene Film-/Körper-Versatzstücke. Die Faszination am Experiment, Repräsentationsformen für das Unrepräsentierbare zu ergründen, den Tod, den Traum, das Kino, ist allgegenwärtig. Am Ab-Ort der Bilder taucht sie auf und gleitet ihrem ewigen Scheitern als und im Untergang entgegen. |
Am Ab-Ort der Bilder: Filme von Evgenij Jufit im Filmmuseum M�nchen – Barbara Wurm
Date posted: June 18, 2006
Author: jolanta