• Saskia Hetzer: New Flavour – Constanze Musterer

    Date posted: June 14, 2006 Author: jolanta

    Saskia Hetzer: New Flavour

    Constanze Musterer

    New Flavour? Welchen Geschmack haben wohl Saskia Hetzers Fotografien auf Esspapier aus der Serie "Von der Verdaubarkeit alter Meister"? Die visuellen Reize der Kunst vereinen sich seit Jahrhunderten mit einem eigens dafür organisierten gesellschaftlichen Essgenuss. Die Organisation des Gesellschaftlichen zur Kunstbetrachtung ist geblieben, doch das Residuum des oralen Genusses auf den heutigen Vernissagen sind bestenfalls Salzstangen oder Erdnüsse. Die Künstler selbst haben diesen Mangel an Genuss behoben und betätigen sich seit geraumer Zeit vermehrt als Köche, so dass Kunst und Essen zu einem wiedervereinten Kulturevent wurde und daraus eine Form von "Art & Eat" Kultur entstand. Auf den ersten Blick könnte man meinen, Saskia Hetzer siedelt sich mit ihren essbaren Fotografien hier an. Nur reduziert sie der ökonomisch schnellebigen Zeit entsprechend das ganze Menü in Anspielung auf die christliche Tradition auf ein modernes Abendmahl und reicht lediglich bedruckte "Hostien" zum Verkauf.

    Der erste Blick reicht nicht, denn wo sonst spätestens mit der Nachspeise der Diskurs aufhört fängt er bei Hetzer durch die besondere Thematik und die aufwendige Herstellung erst an. Die Fotografien auf Esspapier sind penibel arrangierte Situationen, die sich vordergründig auf die Genreszenen des holländischen Meisters aus dem 17. Jahrhunderts Jan Vermeer van Delft beziehen. Kostüme, Interieur, Accessoires, alles wurde selbst dekoriert, zusammengesucht und mit den Statisten in Pose gerückt. Die Fotos sind perfekt ausgeleuchtet und evozieren durch das gesamte Arrangement bekannte Gemälde Holländischer Meister. Die scheinbare Sicherheit der schnellen kunsthistorischen Zuordnung wird jedoch sogleich durchbrochen. Die Szenen und Akteure sind mit modernsten Kommunikations- oder Haushaltsgeräten, Verpackungen oder anderen, unser heutiges Alltagsleben bestimmenden, Utensilien durchsetzt. Neben der unweigerlichen Komik, die durch die Konfrontation entsteht, stellt sich die Frage nach Zeit, nach Veränderung, nach Werten und Vergänglichkeit, nach Moderne und Tradition – im kunsthistorischen wie im kulturellen Kontext.

    Hetzer spitzt den Diskurs weiter zu. Sie druckt diese Fotos, die für sich allein stehend genug inhaltliche Kraft und technische Qualität haben, mit Lebensmittelfarbe auf Esspapier. Ein sehr materialaufwendiges Verfahren und eine technische Erfindung der jüngsten Vergangenheit. Hier treffen auf zweiter Ebene Tradition und Moderne aufeinander: das klassisch ausgeleuchtete und inszenierte Foto und die Profanierung des Drucks auf Materialien jeglicher Art. Die Fotos verschwimmen durch den Druck auf dem Esspapier und entrücken nicht durch Craquelébildung, sondern durch die sich auflösenden Farben in die Sphäre der Werke Alter Meister. Parodiert wird das kurze hoffnungsvolle Wunschdenken, auf authentisch Altes zu treffen, durch die Befestigung der Blätter mit Stecknadeln in Glaskästen wie in einer naturhistorischen Sammlung. Hetzer führt die Entweihung des Kunstwerks fort, indem sie die Bilder zum sofortigen Verzehr (oder zum Sammeln) anbietet und zudem die scheinbar unendliche Reproduzierbarkeit der Fotografien auf dem Esspapier ermöglicht. Jedoch hat auch die technische Reproduzierbarkeit ihre Grenzen und wird ad absurdum geführt, denn jeder Ausdruck fällt durch die Unberechenbarkeit des Papiers etwas anders aus als die vorherigen. Saskia Hetzer konterkariert mit der provozierenden Vergänglichkeit durch Essbarkeit den auf Kunst für die Ewigkeit angelegten restauratorischen Museumsbetrieb und hinterfragt dabei die hochstilisierte Aura des Originals.

    Durch visuelle Reize werden die oralen Triebe aktiviert, und so hat Saskia Hetzer einen humorvollen und intelligenten Beitrag nicht nur zur Vereinigung von Kunst und Essen geschaffen. Schon bei Sigmund Freud hat die sogenannte Einverleibung die Bedeutung, dass sie Lust verschafft, indem man ein Objekt in sich eindringen lässt, dieses Objekt zerstört und sich die Qualitäten dieses Objekts aneignet, indem man es in sich aufbewahrt. Bleibt zu hoffen, dass zwischen Verzehr und Ausscheidung ein paar Partikel Meisterschaft ins Blut gehen.

    Die nächste Ausstellung von Saskia Hetzer ist im Sommer 2004 im Auswärtigen Amt in Berlin zu sehen. Info unter: www.kurt-im-hirsch.de

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